Den Status der rot schraffierten Flächen als mögliche Bau- und Gewerbegebiete wollten wir gerne ändern

„Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ (Rede zur Regionalplandiskussion)

Auf unserer Homepage ist es in den letzten Monaten ein bisschen still geworden. Das sollte nicht so sein, aber es lässt sich manchmal auch nicht vermeiden. Schließlich betreiben wir alle Kommunalpolitik auf ehrenamtlicher Basis und müssen uns die Zeit, die wir dafür investieren, irgendwo anders „abknapsen“.

Am 21. März 2022 hat die Gemeindevertretung in Biebertal gegen die Stimmen der Grünen Ihre Stellungnahme zum Entwurf des Regionalplan Mittelhessens 2021 abgegeben. Die Position der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat der Fraktionsvorsitzende Siegfried Gröf in seinem Redebeitrag erläutert.

Hier die Rede im Wortlaut:

„Lieber Wolfgang Lenz, liebe Frau Ortmann, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren!

‚Es gibt kein richtiges Leben im falschen.‘ Dieses Zitat des Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno ist mittlerweile zum geflügelten Wort geworden. Und gerade in den letzten Wochen musste ich oft an diesen Ausspruch denken.

Alle, die sich ernsthaft mit Lösungen zum Klimawandel beschäftigen, kommen früher oder später zu dem Ergebnis, dass ein politisches und wirtschaftliches System, das die Interessen von einzelnen Personen, einzelnen Gruppen und einzelnen Nationen über die Interessen der Menschheit insgesamt stellt, die Klimaveränderungen nicht bzw. nicht schnell genug aufhalten können wird.

Das wird nur gehen, wenn es uns gelingt, eine ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft zu etablieren, die faire und verantwortungsvolle Lösungen findet, die von allen Bevölkerungsgruppen und allen Nationen mitgetragen werden können. Nicht erst seit dem Ukraine-Krieg ist die Realisierung eines solchen Systems auf unserem Planeten nur mit sehr viel optimistischer und utopischer Phantasie vorstellbar.

Jetzt werden Sie sich vielleicht fragen: Was hat das mit dem Regionalplan, was hat das mit Biebertal, was hat das mit uns zu tun?

Dass das System, in dem wir uns bewegen, falsch ist, zeigt sich eben auch auf lokaler Ebene, hier konkret auf der Ebene des Entwurfs zum Regionalplan Mittelhessens und seiner Bedeutung für Biebertal. Wir alle wissen eigentlich, dass eine weitere Versiegelung von Flächen im Außenbereich komplett in die falsche Richtung geht.

Jedes Vorranggebiet Siedlung Planung, jedes Vorranggebiet Industrie und Gewerbe Planung bedeutet potenzielle Flächenversiegelung. Flächenversiegelung, die wir unbedingt auf ein Mindestmaß reduzieren müssen…

… weil wir sonst immer mehr landwirtschaftliche Flächen zerstören,

… weil wir sonst irreversible Eingriffe in den natürlichen Wasserhaushalt vornehmen

… weil wir sonst das Risiko von schweren Überschwemmungen bei weiter zunehmenden Extrem-Wetterereignissen weiter erhöhen

… weil wir sonst die Versorgungssicherheit mit Grundnahrungs­mitteln gefährden (und wie wichtig eine solche Versorgung auch vor Ort zeigen ja die Folgen der russischen Invasion in der Ukraine gerade besonders deutlich

… weil wir sonst die grundlegenden Rahmenbedingungen, die für das Überleben von Pflanzen, Tieren und Menschen erforderlich sind, nachhaltig und langfristig zerstören

Eigentlich wissen wir das alle. Und trotzdem haben viele von uns das Gefühl, dass wir aber doch unsere Bevölkerungszahl stabil halten und unsere Gewerbesteuereinnahmen vergrößern müssen. Und solange ich mich innerhalb der Logik des Systems bewege, sind diese Sorgen und Befürchtungen absolut berechtigt (das ist ja überhaupt keine Frage). Das System „zwingt“ uns quasi dazu objektiv falsche Entscheidungen zu treffen.

Aber sobald wir über das System hinausschauen, wird klar, dass wenn die Klimaveränderungen, die schon lange diskutierten Kipp-Punkte überschreiten, dann sind die Bevölkerungszahl und die Gewerbesteuereinnahmen in Biebertal nicht mehr relevant.

Das Ausmaß und die Folgen der aktuellen vom Menschen gemachten Klimaveränderungen abzumildern, das muss unser wichtigstes Ziel werden. Und da können wir auch nicht warten, bis wir in einem System leben, das dieser Notwendigkeit angemessen Rechnung trägt. Nein, diesem Ziel müssen wir auch jetzt schon alle anderen Ziele unterordnen – auch, wenn wir uns dabei über die Logik des Systems hinwegsetzen müssen.

Und dafür tragen auch wir hier in Biebertal die Verantwortung.

Deshalb haben wir eine Reihe von Anträgen formuliert, die einer weiteren möglichen Flächenversiegelung schon auf der Ebene des Regionalplans gegensteuern sollen. In den beratenden Ausschüssen wurden diese Anträge alle mit Mehrheit abgelehnt. Wir werden die Anträge hier dennoch einzeln zur Abstimmung stellen. Vielleicht gibt es doch noch die eine oder den anderen, die oder der zwar nicht allen Anträgen zustimmen kann, aber doch einsieht, dass wir nicht alle vorgesehenen Flächen tatsächlich als Vorranggebiet Siedlung Planung bzw. Vorranggebiet Industrie und Gewerbe Planung für eine potenzielle Flächenversiegelung in der Zukunft freigeben sollten.

Jede einzelne und jeder einzelne von Ihnen hat heute die Chance, seiner Verantwortung für unsere Kinder und Enkel gerecht zu werden und einen kleinen, aber wichtigen Schritt in die richtige Richtung zu gehen, in dem Sie unseren Anträgen zustimmen. Und darum möchte ich Sie und Euch herzlich bitten.

Vielen Dank!“

Den Status der rot schraffierten Flächen als mögliche Bau- und Gewerbegebiete wollten wir gerne in landwirtschaftliche Nutzung ändern

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